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1 Glastechnologie
Glashäfen
Umzeichnung: Autor |
In Publikationen über ausgegrabene
mittelalterliche Glashütten wird manchmal der Fund von flachen Schalen
beschrieben. Das Merkwürdige an diesen Funden sind gelegentlich beobachtete
Bleiglasspuren, die anscheinend vom Ausgiessen geschmolzenen Bleiglases herrühren;
die Gefässe werden daher u. a. versuchsweise als ,,Giessschalen"
bezeichnet. Abgebildet sind als Beispiel Funde aus der Grabung
Steimcke (nach H.-G. Stephan, Die Glasschmelzgefässe der
hochmittelalterlichen Waldglashütte Steimcke im Bramwald, Zeitschrift für
Archäologie des Mittelalters 25/26, 1997/98, 107-40). |
In der modernen Labortechnik bedient man sich sogenannter Tiegelschuhe, um ein Verschmutzen der Laboröfen bei Tiegelbruch zu verhindern. Der Autor machte bei Versuchen die Erfahrung, dass ein Kalk enthaltendes Bleiglasgemenge beim Niederschmelzen spritzt und überläuft. Er sieht also in den sog. Giessschalen ,,Hafenschuhe", die ein Verschmutzen der Hafenbank im Glasmacherofen durch überlaufendes Bleiglas verhindern sollen. Die nebenstehende Zeichnung verdeutlicht diesen Gedanken. |
Tiegel im Tiegelschuh oder
Hafen im Hafenschuh |
Das Spritzen von
Bleiglas geht darauf zurück, dass das schmelzende Bleioxid den Kalk zersetzt;
das frei werdende Kohlendioxid führt zum Aufschäumen und Spritzen der Schmelze.
Diese Interpretation
eines Fundes aus dem Mittelalter erfolgte mit Hilfe einer technologischen
Parallele aus rezenter Zeit. Hier liegt eine Analogie zu einer Vorgehensweise
vor, wie sie Eggert als das Arbeiten mit ethnographischen Parallelen beschreibt
(M. K. H. Eggert, Prähistorische Archäologie: Konzepte und Methoden (2001)
309-52).
Die Glasrezeptur von Plinius
Bei Plinius d. Ä.
(Naturalis Historia Buch 36 Paragraph 194) findet sich eine
Rezeptur für Glas,
die wegen der Angabe eines zu geringen Siliziumdioxidgehaltes
viel diskutiert und
wegen der fehlenden Angabe eines Kalkzusatzes als unvollständig oder sogar als
falsch abgelehnt wurde. Plinius schreibt: ... iam vero et in Volturno amne
Italiae harena alba nascens sex milium passuum litore inter Cumas atque
Liternum, qua molissima est, pila molave teritur. dein miscetur III partibus
nitri .... (Heute aber wird auch im Volturnus zwischen Cumae und Liternum
vorkommender italischer weisser Sand an einem Uferstreifen von sechs Meilen, wo
er am weichsten ist, (verarbeitet; dabei wird er) in Mörser oder Mühle
gemahlen. Dann wird er vermischt mit drei Teilen Natursoda...). Man ging bisher
unwillkürlich davon aus, dass die Rede von Vierteln war, dass also ,,ein Teil
Sand auf drei Teile Soda" zu lesen war. Dies ergibt jedoch kein
brauchbares Glas, sondern nur wasserlösliches Wasserglas. Viele Analysen
römischer Gläser ergaben nun einen Siliziumdioxidgehalt von 65-73 %. Wenn man
davon ausgeht, dass der verwendete Sand nicht reines Siliziumdioxid war,
sondern auch Kalk enthielt (was für die Herstellung eines gebrauchstüchtigen
Glases auch nötig ist), kommt man zu der bereits von Froehner (1879)
vertretenen Ansicht, dass mit den ,,Teilen" ,,Zwölftel" gemeint sind
(entsprechend dem römischen Duodezimalsystem 12 unciae = 1 libra). Hiernach
sind also 3/12 Soda mit 9/12 Sand zu vermischen, was dann zu
Siliziumdioxidgehalten des Glases von weniger als 75 % führt.
Die Projektgruppe
Plinius akzeptierte den hieraus resultierenden Vorschlag des Autors, in der
neuen Ausgabe ihrer Plinius-Übersetzungen (R. C. A. Rottländer (Hrsg.), Plinius
Secundus d. Ä., Über Glas und Metalle (2000) 16-35) die Lesung von Froehner zu
übernehmen.
Zu dem Kalkgehalt des
Sandes vom Volturnus: Der Autor untersuchte eine von ihm selbst am Volturnus-
(heute Volturno-) Ufer nahe der Mündung gezogene Probe des Sandes. Der
Kalkgehalt lag bei 30 %, was auf Grund der geologischen Gegebenheiten auch zu
erwarten war. Spekulationen, dass Plinius den Kalk-Zusatz in seiner Rezeptur
,,vergessen" hat, entbehren also jeder Grundlage.
Die Überlieferung bei
Plinius ist vielmehr als korrekt zu bezeichnen; falsch war die Übersetzung,
falsch war die Annahme eines kalkfreien Sandes als Rohstoff.
So half die
Archäochemie bei der Lösung eines alten philologischen Problems.
Literatur: P.
Kurzmann, Mittelalterliche Glastechnologie (2004) 178-79; 297-301.
Es spukt immer noch herum, das Märchen von der Entfärbung des grünen mittelalterlichen Glases mit Hilfe der „Glasmacherseife“ Braunstein. Die tatsächlichen Verhältnisse sind nicht ganz einfach zu erklären, es soll auf der nächsten Seite „Ein wenig Waldglaschemie“ aber doch versucht werden.